Er gehört zu jenen, von denen man nie genug lesen kann, und zu denen man immer wieder zurückkehrt. Breit gelesen wird er heute kaum mehr, und viel zu lesen über ihn gibt es heute auch nicht. Allein Manfred Papst hat über die Jahre hinweg in der Neuen Zürcher Zeitung die Gelegenheiten genutzt, Wiederveröffentlichungen von Friedell kundig zu besprechen.
Früher einmal war es anders. Friedells Kulturgeschichten der Neuzeit, Griechenlands und des Altertums, beispielsweise, erreichten bei ihrem Erscheinen eine grosse Leserschaft. Friedell schildert darin die Evolution der Geschichte mit einem stupenden encyclopädistischem Wissen; er stellt Beziehungen her, wägt ab, und er fällt auch sein Urteil. Damit braucht man zwar nicht immer einverstanden zu sein, doch Friedell bleibt persönlich und originell in seinem Denken, dialektisch in seinen Ausführungen, kurz: geistig herausfordernd - wo spätere Kulturgeschichten bildungshuberisch eine Menge Wissen auftischen, alleine damit aber noch weit davon entfernt bleiben, zu tieferen Erkenntnissen zu gelangen. Komplexeste Phänome bringt Friedell mit wenigen Worten auf den Punkt. Eingangs zu seinen Betrachtungen zu Shakespeare in der Kulturgeschichte lesen wir beispielsweise, dieser sei der Meister der offenen Form, ein Gedanke, den man, einmal gelesen, nie wieder vergisst, denn treffender lässt sich die komplexe dramatische Baukunst Shakespeares in dieser Kürze nicht fassen.
Der Begriff „Kulturgeschichte“ geht auf Friedell zurück. Heute ist er leider abgenutzt; es gibt Kulturgeschichten des Reisekoffers, des Gesellschaftshundes, des Parfüms, des pathologischen Sammelns – Messis, der weiblichen Unschuld, gar der Erregung, (mit dem Untertitel:) Lob der Peitsche. Der Begriff ist entwertet, leider zum gesunkenen Kulturgut geworden.
Unvorstellbar, was wir vom Universalgelehrten Egon Friedell noch alles hätten lernen können, hätten ihn die Barbaren im Jahre 1938 nicht in den Tod getrieben. Die genauen Umstände dazu finden sich anderswo zur Genüge beschrieben; wir wollen sie hier nicht nochmals hören. Doch unsterblich bleibt Friedells Werk. Freue Dich Dichter, weine Mensch!
Zum Glück sind derzeit etliche von Friedells Büchern wieder zu kaufen und zu lesen, alle seine Kulturgeschichten, jene der Neuzeit sogar in verschiedenen Ausgaben, die bei Beck, seinem ihm schon zu Lebzeiten treuen Verlag, die attraktivste. Und Friedell sollte man nur in schönen Ausgaben lesen, eben weil man immer wieder zu ihm zurückkehrt. Dann ist aber auch etliches aus dem Nachlass wieder da, „Die Rückkehr der Zeitmaschine“, „Ist die Erde bewohnt?“, „Die Abschaffung des Genies“ und, wie erfreulich, noch einiges mehr.
Friedell wurde auch in sieben Sprachen übersetzt. Damit sieht es heute allerdings weniger gut aus. Englisch gibt es „The Return of the Time Machine“ und die Kulturgeschichte der Neuzeit, letztere auch in französischer Übersetzung. Auf Italienisch scheint derzeit nichts im Handel zu sein, wohl schade; aber Italien hat eben selbst so viele Geistesheroen, dass man das Versäumnis mit Milde zu akzeptieren bereit ist.
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