Wilhelm E. LieflandEin Jazzkritiker mit einer politischen Mission
- hugo2825
- 22 mag 2023
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Aggiornamento: 10 set
Die Sechziger- und insbesondere die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts waren eine für die Entwicklung des Jazz innovative und kreative Zeit. Der europäische Jazz suchte neue, eigene Wege und wollte sich von amerikanischen Mustern und Vorbildern emanzipieren. Der norwegische Saxophonist Jan Garbarek, die Engländer John McLaughlin, Gitarre, und der Schlagzeuger Jon Hiseman in ihren wechselnden Formationen setzten wie zahlreiche andere Musiker der Zeit wegweisende Impulse.
Eminent wichtige Beiträge dazu lieferten die Deutschen Jazzmusiker, beispielsweise der Posaunist Albert Mangelsdorff, der Pianist Wolfgang Dauner oder der Gitarrist Volker Kriegel, die dann alle im United Jazz and Rock Ensemble mitwirkten. Von den Genannten sind die meisten leider heute nicht mehr unter uns. Als Zeitzeugen können wir sie nicht mehr anfragen.
Umso wertvoller ist das Buch mit gesammelten Beiträgen von Wilhelm E. Liefland. Getreu seinem Titel Jazz, Musik, Kritik bespricht der Autor besuchte Konzerte und damals neu eingespielte Aufnahmen. Dazu nimmt er kritisch Stellung zu musikalischen Entwicklungen und Tendenzen im damaligen Jazzbereich. Meist geschieht dies theoretisch, ideologisierend. Lieflands aktive Zeit waren die Sechziger- und Siebzigerjahre. Sie waren geprägt von oft hart geführten Diskussionen und Auseinandersetzungen zu Politik, Gesellschaft und insbesondere auch zu Kultur, Literatur, Philosophie, oder eben zu Musik der verschiedenen Gattungen und Stile.
Liefland kam ursprünglich aus dem Gebiet der Geisteswissenschaften. Er studierte Germanistik, Philosophie und Theologie und schloss sein Studium ordnungsgemäss mit dem Magistertitel ab. Sein Denken ist geprägt von der damaligen linksorientierten Frankfurter Schule.
Liefland folgte nach seinem Studienabschluss im Jahre 1969 seiner grossen Passion, dem Jazz. Zuerst veröffentlichte er in der sozialistisch ausgerichteten Zeitung Vorwärts. In der Frankfurter Rundschau schrieb er dann bis zu seinem Tod 1980 über das insbesondere deutsche Jazzgeschehen, zu Konzerten, zu neuen Formationen, neuen Aufnahmen oder zu theoretischen Aspekten. Bei der Frankfurter Rundschau, die sich als linksliberal versteht, war Liefland am richtigen Ort. Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, gleichsam dem Gegenpol, wäre er weniger gut vorstellbar gewesen. Dazu organisierte Liefland an verschiedenen Orten seine von ihm so benannten Jazz- und Lyrik-Programme.
Lieflands primäres Interesse galt dem Jazz in Deutschland; er macht aber auch Ausflüge in den Bereich des kreativen Rock und der damals besonders beliebten Singer-Songwriter-Bewegung. Liefland war ein homo politicus, ein Sozialrevolutionär, und seine Auseinandersetzung mit Musik hatte stets eine politisch-gesellschaftliche Dimension. Jazz war ein Heilsbringer; er sollte die Gerechtigkeit herstellen, die Welt besser machen.
Seine folgende Kritik steht pars pro toto. Zu einem Auftritt von Emerson, Lake and Palmer, einer damals neu gegründeten Combo mit hoher Potenz und Innovation, stellte Liefland fest, dass es nur konsequent sei, wenn der energetische Keith Emerson am Schluss des Konzertes mit zwei Dolchen auf seiner Orgel spielte und „so das Material über seine eigene ‚Trägheit‘ hinauszuführen versuchte.“ Darin erkannte Liefland eine politische Aussage: „Insgeheim schilderte er damit die Aggressionen gesellschaftlicher komplementärer Prozesse.“ Auf der Pressekonferenz nach ihrem politischen Denken befragt, habe die Band geantwortet, „ihr politisches Denken sei neutral“. Liefland reagierte arg enttäuscht: „Ihre Musik ist es in eminentem Grade nicht. Doch wie so oft bei Musikern mit der Bestimmung ihres gesellschaftlichen Ortes: sie können die Brücke nicht schlagen zwischen dem, was sie musikalisch formulieren und dem, was sie dann ‚politisch’ bedeutet.“
Die politischen Erwartungen Lieflands an die Musiker und ihre Musik und seine linksideologische Diktion („die Bestimmung des gesellschaftlichen Ortes“, „gesellschaftlich komplementäre Prozesse“) stiessen nicht überall auf Begeisterung. Doch er blieb dabei: Jazz und avantgardistischer so genannter progressiver Rock der Zeit à la ELP hatten einen politischen Auftrag zu erfüllen, sie sollten die Welt besser, gerecht machen.
Die geradezu unangefochtene Autorität des Jazz in Deutschland war damals allerdings nicht Liefland, sondern Joachim-Ernst Berendt. Seine Jazzsendungen im Südwestfunk über vier Jahrzehnte setzten alle gültigen Standards. Insbesondere war sein Das Jazzbuch, erstmals erschienen 1953, zum Kultbuch geworden. Als Berendt im Jahre 1978 mit Ein Fenster aus Jazz – Essays, Portraits, Reflexionen nachdoppelte, reagierte Liefland giftig, aggressiv. Das Buch sei „ein blinder Spiegel“, „schlampig“, der Ton sei „verlogen, greinend, autoritär, schnatternd, schmalzend“, es seien „Rest-Theologoumena eines wohlerzogenen Pastorensohnes“. (Wie Lieflands Vater war auch der Vater von Berendt Pfarrer.) Und dann als Quintessenz: Behrendt habe seine musikalisch-politische Pflicht nicht erfüllt: „Marxistische Ansätze in der Jazz-Ästhetik werden - unverstanden - verächtlich beiseite getreten. Die Folgen der politischen sechziger Jahre werden im Ernst (ein unfreiwilliges Wortspiel? Meine Anm.) nicht beachtet.“
Es handelte sich hier sicher auch um einen Diadochenkampf. Liefland argumentierte emotional aufgeladen und verfehlte gerade dadurch seine Wirkung.
Dabei hatten er und der von ihm so arg gescholtene Berendt vieles gemeinsam: Beide waren sie Jazzexperten, beide waren sie Pastorensöhne, und beide ereilte sie ein ähnlich schreckliches Ende. Joachim-Ernst Berendt wurde im Jahre 2000 auf der Strasse beim Überqueren an einer roten Ampel angefahren und starb an den Verletzungen. Wilhelm E. Liefland wurde 1980 in der Frankfurter Innenstadt von jugendlichen Rowdies grundlos zusammengeschlagen. Der Linksideologe Liefland war von diesem Unrecht, dieser Schandtat, begreiflicherweise zutiefst schockiert. Er war kultur- und klassenkämpferisch unterwegs und wurde gerade von jenen überfallen, die er als gesellschaftlich unterdrückt erachtete und denen er helfen wollte, ihr Joch abzuschütteln. Liefland wollte dann seine depressive Verstimmung an der Nordsee auskurieren. Doch das Unglück ereilte ihn ein zweites Mal: Er ertrank im Wattenmeer beim Nordstrand. Ob es ein Unfall oder Selbstmord war? Es liess sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Eine mehrfache Tragik.
Liefland begann seine schriftstellerische Tätigkeit im Jahre 1975 bei Greno mit einem Lyrikband: Gesänge entlang der Angst – Sechsundsechzig Gedichte. Weitere lyrische Arbeiten soll er gleichsam in einem Autodafé verbrannt haben. Der Herausgeber dieses Bandes, Raymund Dillmann, und Hans-Klaus Jungheinrich schildern in zwei Vorworten das bewegte und leider viel zu kurze Leben des Wilhelm E. Liefland, das von Alkoholproblemen, Süchten und psychischen Schwierigkeiten überschattet war.
Den Herausgebern gelang es, den verstreuten Nachlass des Autors zu sammeln. Seine genannte Gedichtsammlung wurde 1981 neu aufgelegt. Und 1992 erschien dieser besprochene Band mit gesammelten Kritiken und Betrachtungen, wiederum im Verlag der Buchhandlung Raymund Dillmann.
Insbesondere dank der Initiative von Frau Jutta Dillmann konnte der literarische Nachlass von Wilhelm E. Liefland gesichert werden. Sie übergab ihn dem Jazzinstitut Darmstadt. Und dies verbindet Liefland ein weiteres Mal mit seinem Antagonisten Joachim-Ernst Berendt, dessen Nachlass ebenfalls im Jazzinstitut Darmstadt gelagert ist.
Mein Dank geht an Frau Jutta Dillmann. Sie war so freundlich, mir ein Exemplar des vorliegenden, heute selten gewordenen Bandes, an dem sie massgebend mitwirkte, zu schenken. Und im Gespräch brachte sie mir das Leben und das Werk von Wilhelm E. Liefland aus ihrer persönlichen Perspektive näher.

Wilhelm E. Liefland, Jazz, Musik, Kritik. Verlag der Buchhandlung Raymund Dillmann. Kriftel 1992.



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